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IgG-Antikörpertests bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten - Hilfreiche Diagnose oder teure Fehlinvestition?

Autorenbild: MartinaMartina
Viele Menschen leiden unter unspezifischen Verdauungsbeschwerden und suchen verzweifelt nach einer Ursache. IgG-Antikörpertests werben damit, vermeintliche Nahrungsmittelunverträglichkeiten aufzudecken, und werden sowohl im Internet als auch in einigen Labors als einfache und professionelle Lösung angeboten. Doch wie verlässlich sind sie wirklich? Können sie tatsächlich helfen, die Ursache der Beschwerden zu identifizieren?

Dieser Artikel beleuchtet, warum IgG-Antikörpertests in den meisten Fällen keine zuverlässige Methode zur Diagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind – und welche sinnvollen Alternativen es gibt.
Fachlich fundierte Diagnose statt IgG-Tests: Wie eine professionelle Untersuchung bei Unverträglichkeiten abläuft.
 

Was sind IgG-Antikörper und welche Rolle spielen sie im Körper?

IgG (Immunglobulin G) ist einer von fünf Antikörpertypen, die unser Immunsystem produziert. Diese Antikörper spielen eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern und anderen Fremdstoffen. Wenn wir Nahrung zu uns nehmen, bildet unser Körper natürlicherweise IgG-Antikörper gegen bestimmte Nahrungsmittelproteine. Dies ist ein normaler Prozess und bedeutet nicht automatisch, dass eine Unverträglichkeit oder Allergie vorliegt [IGEL-Monitor, 2014].


Die Funktion von IgG-Antikörpern

IgG-Antikörper haben verschiedene Aufgaben im Immunsystem:

  • Sie markieren Krankheitserreger für die Zerstörung durch andere Immunzellen.

  • Sie neutralisieren Toxine und Viren.

  • Sie aktivieren das Komplementsystem, ein weiterer Teil unserer Immunabwehr.

Interessanterweise deuten neuere Forschungen darauf hin, dass IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel sogar ein Zeichen für Toleranz sein können. Sie könnten also eher ein Hinweis darauf sein, dass der Körper gut mit diesen Nahrungsmitteln umgehen kann, anstatt sie abzulehnen [GPAU, 2014].


Warum sind IgG-Tests für Nahrungsmittelunverträglichkeiten problematisch?

IgG-Tests zur Diagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden oft im Internet, aber auch häufig von Labors und sogar von ÄrztInnen angeboten, was den Eindruck erweckt, es handle sich um wissenschaftlich fundierte und aussagekräftige Verfahren. Doch trotz dieser professionellen Aufmachung gelten IgG-Tests zum Austesten von Nahrungsmittelunverträglichkeiten als ungeeignet, da ihre Ergebnisse oft falsch interpretiert werden und wenig Aussagekraft besitzen.


1. Fehlende Spezifität

IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel treten bei nahezu allen Menschen auf, unabhängig davon, ob Beschwerden bestehen oder nicht. Ein positiver Test zeigt lediglich, dass der Körper bereits mit dem jeweiligen Nahrungsmittel in Kontakt war – ein völlig normaler Prozess, der keine Unverträglichkeit signalisiert [IGEL-Monitor, 2014].


2. Keine Korrelation mit Symptomen

Studien belegen, dass erhöhte IgG-Werte sowohl bei Menschen mit als auch ohne Beschwerden auftreten können. Es besteht kein verlässlicher Zusammenhang zwischen IgG-Levels und tatsächlichen Unverträglichkeiten oder allergischen Reaktionen [IGEL-Monitor, 2014].


3. Verwechslung mit IgE-vermittelten Allergien

Echte Nahrungsmittelallergien werden durch IgE-Antikörper ausgelöst, nicht durch IgG. IgG-Tests bieten daher keine Aussagekraft über das Vorliegen einer Allergie und können zu Verwirrung führen [Gerez et al., 2010].


4. Risiko von Fehlernährung

Die Ergebnisse von IgG-Tests führen oft dazu, dass zahlreiche Lebensmittel unnötig gemieden werden. Dies kann die Ernährung unnötig einschränken und im schlimmsten Fall zu Nährstoffmängeln oder einer unausgewogenen Ernährungsweise führen [IGEL-Monitor, 2014].


Welche Lebensmittel verursachen wirklich Beschwerden? So werden Unverträglichkeiten richtig getestet.
Restriktive Diäten erhöhen das Risiko für Nährstoffmängel und Mangelernährung. Das Ziel sollte daher stets eine möglichst ausgewogene und vielfältige Ernährung sein, um den Nährstoffbedarf optimal zu decken.

Welche Tests sind bei Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten sinnvoll?

Wenn der Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie oder -unverträglichkeit besteht, ist eine strukturierte und fundierte Diagnostik entscheidend, um unnötige Einschränkungen in der Ernährung zu vermeiden und gezielt die tatsächlichen Ursachen der Beschwerden zu identifizieren. Folgende Schritte sind dabei empfehlenswert:


  • Ausführliche Anamnese: Der erste Schritt sollte ein ärztliches Gespräch oder das Aufsuchen einer Ernährungsfachkraft sein, um die Beschwerden, deren Häufigkeit, mögliche Zusammenhänge mit bestimmten Lebensmitteln sowie weitere relevante Faktoren zu erfassen.


  • Ernährungs- und Symptomtagebuch: Das Führen eines detaillierten Tagebuchs über verzehrte Lebensmittel und auftretende Beschwerden kann helfen, Muster und potenzielle Auslöser zu erkennen. Dabei sollten auch Begleitfaktoren wie Stress, der weibliche Zyklus oder auch die Einnahme von Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel berücksichtigt werden.


Gezielte diagnostische Verfahren:

  • Atemtests (z. B. für Laktose- oder Fruktoseintoleranz) können helfen, bestimmte Unverträglichkeiten festzustellen.

  • Eliminations- und Provokationsdiäten sollten unter ärztlicher oder diätologischer Begleitung durchgeführt werden, um Nahrungsmittel gezielt auszuschließen und anschließend unter kontrollierten Bedingungen wieder einzuführen.

  • Blut- oder Hauttests können bei Verdacht auf echte Nahrungsmittelallergien sinnvoll sein, sind aber für Unverträglichkeiten (z. B. IgG-Tests) nicht aussagekräftig.


Selbsttests oder nicht evidenzbasierte Methoden, wie bestimmte IgG-Antikörpertests, sind hingegen nicht aussagekräftig und können zu Fehldiagnosen oder unnötigen Ernährungseinschränkungen führen.


Was mache ich, wenn sich der Allergieverdacht erhärtet?

Besuch bei einer medizinischen Fachkraft

Wenn das Ernährungs- und Symptomtagebuch den Verdacht auf eine Allergie oder Unverträglichkeit bestärkt, sollte eine Fachärztin oder ein Facharzt konsultiert werden. Gemeinsam wird die weitere diagnostische Vorgehensweise festgelegt, um die Ursache der Beschwerden abzuklären.


Abklärung einer echten Nahrungsmittelallergie

Um eine Nahrungsmittelallergie zu diagnostizieren, werden in der Regel ein Prick-Test (Hauttest) sowie eine spezifische IgE-Bestimmung im Blut durchgeführt. Diese Verfahren helfen, allergieauslösende Substanzen gezielt zu identifizieren.


Eliminationsdiät mit anschließender Provokation

Eine Eliminationsdiät, die unter ärztlicher oder diätologischer Aufsicht durchgeführt wird, dient dazu, verdächtige Nahrungsmittel vorübergehend aus dem Speiseplan zu streichen. Anschließend werden sie schrittweise wieder eingeführt, um mögliche Reaktionen genau zu beobachten.


Oraler Provokationstest

Der orale Provokationstest gilt als Goldstandard zur Diagnose von Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten. Dabei werden verdächtige Nahrungsmittel in steigender Dosierung unter strenger ärztlicher Überwachung verabreicht. Dieses Verfahren ermöglicht eine sichere Diagnosestellung, wird jedoch in der Praxis nicht immer routinemäßig durchgeführt.


H2-Atemtest

Besteht der Verdacht auf eine Laktose-, Fruktose- oder Sorbitintoleranz, kann ein H2-Atemtest Klarheit schaffen. Dieser Test misst den Wasserstoffgehalt in der Atemluft nach Einnahme der jeweiligen Substanz. Er wird in spezialisierten Zentren, Labors oder bei niedergelassenen ÄrztInnen bzw. DiätologInnen durchgeführt.

IgG-Test zur Diagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten – wissenschaftlich sinnvoll oder Geldverschwendung?

Fazit: Vorsicht bei IgG-Tests für Nahrungsmittelunverträglichkeiten

IgG-Antikörpertests für Nahrungsmittel erscheinen auf den ersten Blick attraktiv, da sie vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Beschwerden liefern. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt jedoch klar, dass diese Tests ungeeignet sind, um Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder -allergien zuverlässig zu diagnostizieren.


Bei anhaltenden Verdauungsbeschwerden ist es ratsam, ärztlichen Rat einzuholen und zusätzlich medizinische Fachpersonen wie DiätologInnen oder ErnährungsberaterInnen einzubinden. Gemeinsam kann ein strukturierter diagnostischer Plan erstellt werden. Dieser sollte mit einem detaillierten Ernährungs- und Symptomtagebuch beginnen und bei Bedarf gezielte Untersuchungen wie Atemtests, Blutuntersuchungen oder eine Eliminationsdiät umfassen.


Die Diagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten erfordert Geduld, eine gründliche Beobachtung und die enge Zusammenarbeit mit medizinischen Fachkräften und ErnährungsexpertInnen. Auch wenn dieser Weg anspruchsvoller ist als ein einfacher Bluttest, führt er zu präzisen Ergebnissen und einer maßgeschneiderten Behandlung, die langfristig Ihre Beschwerden lindern und Ihre Lebensqualität deutlich verbessern kann.

 

Quellen

IGEL-Monitor (2012): Bestimmung des Immunglobulin G (IgG) gegen Nahrungsmittel

Gocki und Bartuzi (2016): Diagnostic value of IgG antibodies against food antigens

IGEL-Monitor (2014): Bestimmung des Immunglobulin G (IgG) gegen Nahrungsmittel

GPAU (2014): IgG- und IgG4-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel

Gerez et al. (2010): Diagnostic tests or food allergy


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